Nordrhein-Westfalen ist seit Jahrhunderten das Epizentrum der deutschen Industrie. Angesichts der digitalen und grünen Transformation steht die Region allerdings vor großen Herausforderungen, um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben, so Dietmar Brockes, Vorsitzender des Ausschusses für Europa und internationale Angelegenheiten in NRW, in einem Interview mit EURACTIV.
Während viele Regionen in Europa vor der Herausforderung stehen, die Dekarbonisierung ihrer Industrien voranzutreiben und das Potenzial neuer digitaler Technologien zu nutzen, ist das Industrieland NRW besonders betroffen.
„Ich würde behaupten, dass Nordrhein-Westfalen tatsächlich die Transformationsregion in Europa ist und dass wir hier den größten Strukturwandel erleben“, betonte Brockes, der auch Sprecher der FDP für Industrie und Energie in NRW ist.
Der laufende Wandel berge aber auch große Potenziale für das bevölkerungsreichste Bundesland.
„Wir müssen den Kurs auch so setzen, dass er realisierbar ist und wir im globalen Wettbewerb mithalten können. Und deshalb ist es mir wichtig, dass wir auch auf Brückentechnologien setzen“, so Brockes.
Brockes betonte die „Vorbildfunktion“ von NRW, da es „das Industrieland in Europa“ sei.
„Ich glaube, es gibt keinen anderen Ort, an dem mehr Energie produziert und gleichzeitig verbraucht wird“, argumentierte Brockes.
Von Kohle zu erneuerbaren Energien?
NRW ist seit Jahrzehnten der größte Kohleproduzent Deutschlands. Während in den neunziger Jahren der größte Teil der Kohleindustrie des Landes noch auf Steinkohle beruhte, hat NRW bereits erfolgreich auf Braunkohleförderung umgestellt.
„Wir haben den Ausstieg aus der Steinkohleförderung bereits erfolgreich vollzogen, deshalb sehen wir den aktuellen Strukturwandel als große Chance und Herausforderung“, betonte Brockes.
Die nächste große Energiewende ist bereits in vollem Gange, denn die Bundesregierung plant den Ausstieg aus der Braunkohle bis 2030, um ihr Klimaneutralitätsziel zu erreichen.
Mitte 2021 hat sich die Landesregierung das Ziel gesetzt, 50 Prozent der Energieerzeugung aus erneuerbaren Energien zu gewinnen. Der Weg zur Dekarbonisierung der Stromerzeugung ist jedoch noch steinig, denn derzeit stammt nur etwa 17 Prozent der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen.
„Natürlich ist das eine große Herausforderung, aber wir wollen auch unsere Industrien durch Innovationen entsprechend transformieren“, sagte Brockes.
NRW möchte seine „Branchenführerschaft in Europa“ behalten und sich zur „innovativsten Industrieregion der Welt“ entwickeln, indem es massiv in kohlenstoffneutrale und digitalisierte Spitzentechnologien investiert.
Eines der entscheidenden Elemente dieses Wandels ist Wasserstoff. „Wir wollen zum Beispiel auf eine wasserstoffbasierte Stahlproduktion umsteigen“, sagte Brockes. Dies würde eine größere Abhängigkeit von Wasserstoffimporten mit sich bringen. Brockes erklärte jedoch, dass NRW seine Technologieführerschaft beibehalten wolle, „wie wir sie derzeit bei den modernsten Kohlekraftwerken haben“.
Damit die grüne Wende gelingt, will NRW das Potenzial seiner hochqualifizierten Arbeitskräfte, die derzeit im Kohlesektor tätig sind, nutzen. „Deshalb brauchen wir Fachkräfte. Dafür brauchen wir die Ausbildung von Menschen, die bereits im Energiesektor tätig sind“, betonte er.
Austausch von Erfolgsmethoden
Die Region arbeitet auch eng mit anderen europäischen Regionen zusammen, um Erfolgsmethoden auszutauschen. NRW baut insbesondere auf die Partnerschaften im sogenannten Weimarer Dreieck, zu dem auch die polnische Region Schlesien und die französische Region Hauts-de-France gehören.
„Gerade Schlesien steht vor ähnlichen Herausforderungen im Hinblick auf den Strukturwandel seiner Industrien“, so Brockes.
NRW steht aber auch in engem Austausch mit anderen Regionen und europäischen Netzwerken, wie zum Beispiel der Automotive Intergroup, die vom Europäischen Ausschuss der Regionen eingerichtet wurde. Ihr Ziel ist es, eine Plattform für die Diskussion über die Zukunft der Automobilindustrie zwischen lokalen und regionalen Behörden zu schaffen.
Außerdem arbeitet NRW an einem neuen Partnerschaftsabkommen mit der italienischen Region Piemont, die „ähnliche Industriestrukturen“ wie Nordrhein-Westfalen aufweist.
„Das sind alles Plattformen, auf denen wir uns gerne engagieren, um den Austausch zu fördern. Und ich würde mir wünschen, dass diese in Zukunft noch weiter intensiviert werden“, so Brockes abschließend.
Brockes betont jedoch, dass NRW die Modellregion für den Industriewandel bleibt.
„Ich glaube, dass im Moment ganz viele zu uns schauen und sich einiges von uns abgucken und übernehmen“, betonte er.